Jetzt stand sie tatsächlich kurz bevor, meine lange Reise durch die Casinos in Europa. Jetzt gab es für mich kein Zurück mehr. Die letzen Vorbereitungen waren so gut wie abgeschlossen. Meine Wohnung hatte ich schon gekündigt, das Training durch Deutschland, Österreich und die Schweiz erfolgreich beendet. Ich wusste nun, es gab sie, die Antwort darauf, warum die meisten „Live“ Casinos so viel mehr gewannen als es ihnen eigentlich statistisch erlaubt wäre. Über ein Jahr hatte ich in den Casinos die Spielabläufe und ihre Permanenzen studiert. Ich erkannte die kausalen Erklärungen für dieses Gewinnphänomen, ich beobachtete wie die Croupiers, auf ein eigentlich neutrales Spiel, im Rahmen ihrer Fähigkeiten und Motivationen Einfluss nahmen, erarbeitet eine Strategie, in der ich diese Beeinflussungen zu meinem Gewinn nutzte und hatte dieses in beinahe 50 Casinos schon getestet. Dazu lernte ich meine wichtigste Lektion: „Denk immer an dein Konzept. Es ist kein Spiel, es ist ein Kampf! Wenn deine Konzentration nicht mehr ausreicht, wenn die optimalen Bedingungen nicht gegeben sind, dann zwing dich nicht, das verführt nur zu Fehlern, sondern verlass sofort das Casino.“
Aber, warum musste ich überhaupt noch einmal durch die Casinos fahren? Eigentlich hatten meine Anreize doch in der Konzeption, in der Entwicklung und Verifizierung dieser Roulette-Strategie gelegen. Das bot die mich erregende Faszination. Der Beweis war mir doch geglückt. Warum weiterspielen, warum eine andauernde Auseinandersetzung in einer Atmosphäre, die von Gier, Panik, Hoffnung und mit Entsetzen gezeichneten, grauen Gesichtern geprägt wurde. Ginge es mir wirklich nur darum, mir selbst zu belegen, dass doch eine andere Anspannung bestand, eine andere Dimension ob man spielte, nur um sich selbst und sein Konzept zu beweisen oder um von einem fortwährenden Gewinn zu leben?
Es waren viele Komponenten die diese Entscheidung von mir erzwangen. Denn irgendwo bin ich auch getrieben. Nicht von dem Roulettespiel, sondern mich neuen, nicht absehbaren Situationen auszusetzen. Danach, jede Faser meiner Muskeln, jede Synapse meines Gehirnes, jede mögliche Hormonausschüttung der körpereigenen Zellen neu zu erfahren, mich mit dem Unbekannten, Gefährlichen zu konfrontieren und damit zu schärfen, sensibilisieren und meiner selbst bewusster zu werden. So gewinne ich die Erfahrungen, die ich benötigte um zu schreiben. 0scar Wilde notierte: „Ein brillanter Schriftsteller lebt in einer einsamen und langweiligen Atmosphäre. Seine Geschichten entspringen seiner Phantasie, die er nur in ausnahmsloser und gleichförmiger Zurückgezogenheit vollkommen ausformen kann.“ So bin ich nicht. Ich brauche die Auseinandersetzung mit äußeren Extremen, ich suche das Risiko. Für meinen Roman über eine Tänzerin und Animierfrau –Die stille Lügnerin – leitete ich als Geschäftsführer mehrere Jahre Münchens größtes Kabaret. Dort, in dem Trug und einen in den Irrsinn treibenden Labyrinthen, die sich in der ewigen Wiederholung des kranken Gleichen erschöpfen, erarbeitete ich mir das für meinen Roman notwendige, an die psychischen Grenzen gehende Hintergrundwissen.
Doch bei dieser Entscheidung fiel noch ein weiterer äußerst gewichtiger Grund an. Es war dieses Gefühl der absoluten Freiheit und Ungebundenheit. Jeder Platz auf dieser Welt stand mir offen. Die Kosten waren sekundär, die konnte ich, zumindest meistens, an einem Abend durch einen Gewinn in dem Casino wieder ausgleichen. Das Geld alleine langweilte. Aber diese Kombination, ausreichend Kapital und dieses Gefühl, die Situation in den Casinos beherrschen zu können, verlieh mir eine archaische Kraft, beflügelte mich mehr als jedes andere noch so extreme Erlebnis.
Nur noch eine Entscheidung stand offen. Sollte ich mit einem Wohnmobil reisen, oder mit einem Kombi und die Nächte in den Hotels verbringen? Ich entschied mich gegen das Wohnmobil und zwar vor allem wegen der Parkplatzproblematik. Ein Kombi erlaubte mir wenigstens, die den meisten Casinos zugehörigen Parkhäuser zu nutzen. Ein letzter Kauf, nur noch eine Nacht, und dann würde meine Reise zu den Casinos beginnen.
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